LAV Magazin 2020

eine ausgeprägte Heterogenität in der Region: Mexiko und Costa Rica weisen relativ hohe backward-linkages in ihrer Wertschöpfungsketten-Beteiligung auf, die mit vielen entwickelten OECD-Län- dern in etwa gleichauf liegen. Im Jahr 2011 entfielen beispielsweise in Mexiko durchschnittlich 32% der Bruttoexporte auf ausländische Wertschöpfung, wäh- rend in Costa Rica der Anteil 28% be- trug. Gleichzeitig wiesen diese beiden Länder mit 15% bzw. 17% eine der nied- rigsten GVC-Beteiligungsquoten auf. Chile, Brasilien und Kolumbien hinge- gen lagen am unteren Ende der Vertei- lung in Bezug auf die rückwärtige GVC- Beteiligung und zum höheren Ende hin für die vorwärtige GVC-Beteiligung. Chile und Kolumbien wiesen mit 32% bzw. 30% eine der höchsten Vorwärts- Beteiligungsquoten in einer OECD- Stichprobe auf, während Brasilien mit 24% einen moderaten Anteil aufwies. Kann Lateinamerika von einer Verlage- rung von Lieferketten profitieren? Logistikprobleme, insbesondere bei zeitkritischen Lösungen sind intra-re- gional ein groβes Problem dafür, dass die Region aus einer Neuausrichtung internationaler Lieferketten im Rahmen des „nearshoring“ nach der Corona- Krise Gewinn ziehen könnte. Hohe Frachtkosten innerhalb des eigenen Kontinents und häufig unzuverlässige Transportservices beeinträchtigen die Standortqualität, Mängel bei Produkti- on, Transport, Lagerung und Distribu- tion mindern die internationale Bedeu- tung. Im Logistics Performance Index (LPI) des Jahres 2018 der Weltbank, der die Leistungen von Zollverfahren, Inf- rastruktur, internationalen Sendungen, Logistikkompetenz, Tracking & Tracing sowie Pünktlichkeit international ver- gleicht, sind Chile und Panama als erste Länder Lateinamerikas auf den Rängen 40 und 41 zu finden, Mexiko und Bra- silien folgen auf den Plätzen 53 und 56. Damit liegen die lateiname- I m Kontext der Corona-Krise richtet sich der Blick nicht nur auf Überwin- dung von Lieferengpässen und die Sicherstellung der Versorgung, gleich- zeitig geht es auch um neue Entwick- lungstrends: Werden sich die seit den 1990er Jahren ausweitenden Dynamiken der Reduzierung der Fertigungstiefe in den Unternehmen zugunsten der Pro- duktion in immer komplexer werdenden Lieferketten fortsetzen oder etablieren sich neue Muster des „nearshoring“, d.h. die Verlagerung von Zulieferung in die nähere Nachbarschaft? Überlegungen zur Verkürzung von Lieferketten haben in dieser Diskussion ebenso ihren Platz wie die Diversifizierung innerhalb der Lieferkette, um durch redundante Zu- lieferungsstrukturen gröβere Resilienz für das Funktionieren dieser internati- onalen Vernetzungen zu erreichen. Zu- nehmend geraten dabei Handlungsfel- der des unternehmerischen Handelns in den Vordergrund wie etwa die Stärkung der Lieferantenbasis und die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen durch Di- versifizierung und Differenzierung, was gerade für jene Branchen von zentraler Bedeutung ist, deren Wertschöpfung in der Lieferkette selbst stattfindet. Dabei gilt es neben den klassischen Kriterien in der Beschaffungspraxis bei der Aus- wahl von Lieferanten wie Qualität, Kos- ten, Liefertreue, Produktionskapazitäten oder Service auch Sozial- und Umwelt- standards zu berücksichtigen bzw. diese in die Risikobewertung einzustellen. Der vorübergehende shutdown wäh- rend der Corona-Krise hat etwa die mexikanische Kfz-Industrie massiv ge- troffen, sie ist Teil internationaler Lie- ferketten, die von China, Malaysia bis in die USA und Deutschland reichen. Der Standort Mexiko hat sich für viele Firmen als zentraler Fertigungsort und wichtiger Anbieter von Autoteilen ent- wickelt, so dass ein hohes Interesse da- ran bestand, die Produktion bereits früh wieder hochzufahren. Gleichwohl wur- den auch strukturelle Probleme wieder deutlich erkennbar, die für Lateiname- rikas schwache Präsenz in den Liefer- ketten jenseits der handelspolitischen Rahmenbedingungen bedeutsam sind: Hierzu gehören große Mängel bei der Sicherheitslage und im Gesundheitsma- nagement, die sich gerade bei den sehr begrenztenMaβnahmepaketen zur Kon- trolle der Ausbreitung des Virus deutlich niedergeschlagen haben. Die Region steht in ihrer Gesamtheit vor massiven Herausforderungen, um die wirtschaft- lichen und sozialen Folgen der Krise be- wältigen zu können und eine Reaktivie- rung der Wirtschaft zu erreichen. Lateinamerikas prekäre Präsenz in internationalen Lieferketten Im internationalen Vergleich liegt La- teinamerika deutlich hinter Asien und Europa hinsichtlich seiner Beteiligung an internationalen Lieferketten zurück, was sowohl für extra- wie intraregiona- le Verflechtungen gilt. Dafür werden nicht zuletzt restriktive handelspoliti- sche Regelungen mit einer fragmentier- ten Struktur an Freihandelsabkommen und einem regulatorischen regionalen Flickenteppich verantwortlich gemacht, die sich in beschränkenden Ursprungs- regeln niederschlagen. Vor allem Chile, Costa Rica und Mexiko sind diejenigen Länder der Region, die besser in die globalen Wertschöpfungsketten (Glo- bal Value Chains-GVC) integriert sind, doch sind Art und Umfang der Beteili- gung an den Lieferketten in der Region alles andere als einheitlich. So haben sich beispielsweise Mexiko und Costa Rica auf die Verarbeitung und den Export von Inputs spezialisiert und sind gut in die nordamerikanischen Lieferket- ten integriert, während Chile und Peru sich auf den vorgelagerten Bergbau und landwirtschaftliche Inputs spezialisiert haben, die zunehmend für asiatische Märkte bestimmt sind. Betrachtet man die beiden Arten der Lieferketten-Be- teiligung jedoch getrennt, so zeigt sich COVID-19 und die Rolle Lateinamerikas in internationalen Lieferketten 20 Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin

RkJQdWJsaXNoZXIy NTM2MTY=