LAV Magazin 2020

rikanischen Länder deutlich hinter den Konkurrenten aus Asien und anderen Schwellenländern zurück. Schlechte Werte werden vor allem bezüglich der Ausstattung der Infrastruktur wie auch bei der zollrechtlichen Behandlung im Güterverkehr festgestellt, was angesichts der hohen Anforderungen an zeitsensib- le und logistikintensive Dienstleistungen der stark auf Lebensmittel ausgerichteten Exportpalette der Region massive Kosten verursacht. Perspektiven für die aktuelle Debatte um ein Lieferkettengesetz Lieferketten kombinieren aus unterneh- merischer Sicht in weltweitem Maβstab die Standortvorteile und nutzen diese unter dem Gesichtspunkt von Kosten- effizienz und Wettbewerbsprinzipien. Für die politischen Entscheidungsträ- ger der einzelnen Produktionsstandorte sind bislang die Handlungsmöglichkei- ten zur Ausgestaltung ihrer Position in der Lieferkette eingeschränkt, zumal wenn es um die regionalen und globalen Möglichkeiten eines „upgrading“ in der Lieferkette und des Ausbaus der Wert- schöpfungseffekte geht. Die Produktion in Lieferketten in Lateinamerika – sieht man von Rohstoff-Lieferketten und hoch technologischen Wertschöpfungsketten etwa der Automobilindustrie ab - ist am unteren Ende der Kette meist verbunden mit der Vergabe von Unteraufträgen an kleinere und kleinste Unternehmen und oft prekär und informell organisierte Heimarbeit, so dass die Arbeitsbedin- gungen und die Einhaltung der ILO- Kernarbeitsnormen zu einem zentralen Thema im Kontext der aktuellen Debat- ten um ein nationales und/oder europä- isches Lieferkettengesetz geworden sind. Die Übernahme gesellschaftlicher Ver- antwortung in der Lieferkette durch Umsetzung von Sozial- und Umwelt- standards steht dabei im Zentrum der Debatte. Gerade von Unternehmen wird immer wieder der Aufwand beklagt, der bei komplexen Lieferketten hinsichtlich möglicher Informationspflichten betrie- ben werden muss, so dass für Informa- tionsbeschaffung und –bewertung hohe Transaktionskosten entstehen. Bevor- zugt werden daher Vorschriften, die sich nur auf direkte Zulieferer beschränken sollten; allerdings bestehen meist gerade im Bereich der weiterführenden Liefer- kette, d.h. im Bereich des Rohstoffabbaus und der Herstellung einfacher Zuliefer- teile die gröβten Probleme hinsichtlich der Einhaltung von Nachhaltigkeits- standards. Hier treffen politischer Ge- staltungswille und unternehmerische Sorgfaltspflicht aufeinander, ohne dass bislang tragfähige Lösungen für die auftretenden Zielkonflikte gefunden wurden. Als minimale Anforderung wird dabei auf die Berücksichtigung von Nachhal- tigkeit bei der Lieferantenauswahl und die Aufnahme entsprechender Standards in verbindliche Verträge gesetzt, also freiwillige Maβnahmen auf der Ebene des einzelnen Unternehmens. Dem- gegenüber bleiben bislang mögliche Sanktionsmaβnahmen bei Verstöβen gegen diese Standards offen. Doch das Gestaltungsinteresse geht weiter: Den hohen Erwartungen an sektorweiter frei- williger Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Interessengruppen stehen bislang oft ernüchternde Ergebnisse ge- genüber. Hier sind neue Anstöβe für das politische Instrumentarium gefragt, um Abstimmungsprozesse zu erleichtern und Interessenkonvergenz zu verbes- sern im Sinne höherer Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung. Dabei sind insbesondere Fragen regulatorischer He- terogenität und deren prozedurale Auf- lösung angesprochen. Dies verweist auf die dringende Notwendigkeit, die Lü- cke zwischen den Zielsetzungen für die Gestaltung von nachhaltigen globalen Wertschöpfungsketten und der derzeiti- gen Anpassungsdynamik der Unterneh- men zu schlieβen. Für die unternehmerische Praxis er- geben sich daraus Fragen nach den geeigneten Anreizen, tragfähigen Be- ratungsansätzen und best practice- Erfahrungen, die Unternehmen und staatliche Akteure in die Lage versetzen, wirtschaftlich und sozial stabilere und widerstandsfähigere Wertschöpfungs- ketten aufzubauen. Angesichts anhal- tender Auseinandersetzungen über die zukünftige Ordnung des Welthandels ist weitgehend offen, wie solche Verein- barungen in neue Muster von Handel und Handelsvereinbarungen überführt werden können. Dabei sind die handels- politischen Effekte auf die nachhaltige Ausrichtung von Lieferketten zunächst nur sehr begrenzt als stützende Faktoren einzuschätzen. 1 UN: Policy Brief: The Impact of Covid-19 on Latin America and the Caribbean, New York: Juli 2020 https://unsdg.un.org/resources/policy-brief-impact-covid-19-latin-america-and-caribbean 2 CEPAL: Enfrentar los efectos cada vez mayores del COVID-19 para una reactivación con igualdad: nuevas proyecciones, Santiago de Chile: Informe Especial No.5 Covid-19, Juli 2020. 3 Vgl. hierzu: Juan Blyde/Danielle Trachtenberg: Global Value Chains and Latin America: A Technical Note, Washington D.C.: IDB 2020. 4 Als mögliche Ausnahmen werden erneut Mexiko, Costa Rica, Chile und Kolumbien genannt; vgl. The Economist Intelligence Unit: Will Latin America take advantage of supply chain shifts? London 2020. 5 Günther Maihold/Amelie Heindl: (Energie)Infrastruktur in Lateinamerika: die prekäre Integration des Subkontinents, in: Günther Maihold/Hartmut Sangmeister/Nikolaus Werz (Hrsg.): Lateinamerika. Handbuch für Wissenschaft und Studium, Baden-Baden: Nomos-Verlag 2019, S. 477-487. 6 World Economic Forum (WEF): Global Value Chain Policy Series: Regulatory Coherence, Genf 2018. Prof. Dr. Günther Maihold Stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin 22 Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin

RkJQdWJsaXNoZXIy NTM2MTY=