LAV Magazin 2020

A ls der uruguayische Präsident Lacalle Anfang Juli für ein hal- bes Jahr die Präsidentschaft des Mercosur übernahm, erklärte er, dass er sich für die Unterzeichnung des in seinen Grundzügen bereits Mitte 2019 ausgehandelten Freihandelsabkommens mit der EU einsetzen wird. Zuvor hatten die Präsidenten des Mercosur auf ihrem virtuellen Gipfel gleichfalls bekundet, dass sie zum Abkommen mit der EU ste- hen. Selbst die argentinische Regierung, die gegenüber weiteren Handelsabkom- men des Mercosur eine Blockadehaltung einnimmt, hat sich nicht quer gestellt. Damit sind die EU und die deutsche Ratspräsidentschaft gefordert. Bisher galt es als gesichert, dass die Bundesregierung hinter dem Abkom- men steht, und die Zeit der Ratsprä- sidentschaft dazu nutzen wird, seine Unterzeichnung voranzutreiben. Ende August äußerte allerdings die Bundes- kanzlerin mit Blick auf die Brände im Amazonasgebiet erstmals Zweifel an der Umsetzung des Abkommens. Zuvor gab es bereits kritische Stellungnahmen aus Österreich, den Niederlanden und vor allem aus Frankreich. In der Tat dürfte ein innenpolitisch angeschlagener fran- zösischer Präsident, der den Protest der Bauern fürchtet, das größte Hemmnis auf dem Weg zu einer schnellen Unter- zeichnung des EU-Mercosur-Abkom- mens sein. Die europäische Agrarlobby hatte sich gleich nach Abschluss der Verhandlun- gen im vergangenen Juni 2019 in Stel- lung gebracht. Der Präsident des Deut- schen Bauernverbandes sah durch das Abkommen die Zukunft vieler bäuerli- cher Familienbetriebe gefährdet und die Nachhaltigkeitsziele der Bundesregie- rung konterkariert. Nach Aussagen des Vorsitzenden der französischen Grünen Yannick Jadot dient das Abkommen der deutschen Automobilindustrie und der brasilianischen Fleischindustrie, die dafür den Regenwald abholzt. Leidtra- gende sind dagegen die französischen Landwirte. Zusammengefasst wurde der Argumentationsgang griffig unter dem Slogan „Kühe gegen Autos“. Die europäische Agrarlobby ist stark und kann zu Wahlzeiten mobilisiert werden. Aber die Zukunft Europas entscheidet sich nicht im Agrarsektor. Der damali- ge EU Kommissar für Landwirtschaft Phil Hogan verwies darauf, dass die im Abkommen festgelegte Importquote für Rindfleisch von 99.000 Tonnen gerade einmal 1,25% am Fleischkonsum in der EU von 8 Millionen Tonnen ausmacht. Die Interessen des landwirtschaftlichen Sektors (dessen Anteil am BIP relativ gering ist) müssen gegen die Interessen anderer Sektoren abgewogen werden, die aus dem Abkommen Vorteile zie- hen (Industrie- und Dienstleistungs- sektoren) und die für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung Europas größere Bedeutung haben. Von den Südamerikanern kann keine Marktöff- nung in Bereichen gefordert werden, in denen europäische Unternehmen Wettbewerbsvorteile haben, wenn nicht gleichzeitig Europa seinen Markt für wettbewerbsfähige südamerikanische Produkte öffnet. Gegen das Abkommen hat sich in Euro- pa eine bunte Koalition aus Agrarlobby- isten, Globalisierungsgegnern und Um- weltschützern formiert. Letztere warnen davor, dass durch das Abkommen die Rodung des brasilianischen Regenwal- des zunehmen wird. Richtig ist, dass die EU fast ihren gesamten Sojabedarf im- portiert, und die Mercosur-Staaten die wichtigsten Lieferanten von Sojabohnen und Sojaschrot (ein Tierfuttermittel) sind. Allerdings ist China ein wesentlich wichtiger Absatzmarkt für Soja aus Süd- amerika. Auch was die Fleischexporte betrifft, ist für Brasilien genauso wie für Argentinien und Uruguay China der bei weitem wichtigste Abnehmer, die EU folgt mit weitem Abstand. Der Anteil der EU am Export brasilianischen Rind- fleisches wird sich auch bei Ausschöp- fung der im Abkommen festgelegten Quoten nicht wesentlich erhöhen. Aus dem Mercosur wurde nach Europa bis- her vor allem hochwertiges Rindfleisch verkauft. Dies wird sich vermutlich auch durch die neuen Quoten nicht verändern. Richtig ist, dass sich ein Zusammenhang zwischen der Ausweitung der brasili- anischen Rindfleischexporte und dem Waldverlust im Amazonasgebiet nach- weisen lässt. Bis zu einem Fünftel der Exporte von Soja und Rindfleisch in die EU aus Brasilien könnten aus Gebieten illegaler Entwaldung kommen. Fleisch- importeure in der EU sollten deshalb zukünftig darauf verpflichtet werden, nur Fleisch aus nicht frisch gerodetem Land einzuführen. Eine vergleichbare Vereinbarung gibt es bereits bei Soja. Die Kontrolle und Durchsetzung derar- tiger Vereinbarungen könnte allerdings noch verbessert werden. Mit einem Abkommen können europäi- sche Umweltstandards in Lateinamerika durchgesetzt werden, zumindest bei Produkten, die in die EU exportiert wer- den. Handelsverträge können einen po- litischen Hebel an die Hand geben, den es zu nutzen gilt. Es ist leichter den Amazonas zu schützen, wenn Brasilien und die anderen Mercosur-Staaten in Abkommen eingebunden werden, um Netzwerke zum Schutz der Umwelt über den Atlantik auszubauen, die auch Un- ternehmer in Europa und Brasilien ein- schließen, und gegebenenfalls gemein- sam Druck auf Brasilien auszuüben. Nachdem im Juni erneut die Waldbrän- de im Amazonasgebiet zugenommen hatten, veröffentlichte eine Gruppe von 30 globalen Finanzinstituten aus Euro- pa, den USA und Japan einen Brief an die brasilianische Regierung, in dem sie auf diemöglichen negativen Die EU muss geopolitisch denken und ihre wirtschaftlichen Interessen in Südamerika verteidigen 24 Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V.

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