LAV Magazin 2020

15. Oktober 2020 im Weltmuseum Wien und ab dem 4. Juni 2021 im Museum Vol- kenkunde in Leiden zu sehen. Darüber hinaus publizierte ich eine Mono- graphie zu den archäologischen Kulturen Perus „Kulturen und Bauwerke des Alten Peru“ (2. Aufl. 2015), illustriert mit einigen Objekten aus der Sammlung des Linden- Museums. Durch gezielte Ankäufe sowie großzügige Schenkungen konnten die Bestände des Referates bedeutend erweitert werden. Der sicher wichtigste Ankauf der letzten Jahre war die annährend 1200 Objekte umfas- sende Sammlung Peter Duschl, mit der das Linden-Museum nun eine der besten modernen Sammlungen aus Amazonien besitzt. Die Kulturen der Kayapó, Ka’apor, Gavião-Parkatêjê sowie einiger anderer indigener Gruppen Brasiliens sind nun lückenlos dokumentiert. Durch Sammel- und Dokumentationsreisen sowie Ankäufe durch „Co-Collecting“ (direkter Kauf bei den indigenen Herstellern nach gemein- sam festgelegten Kriterien) werden unsere Bestände ständig erweitert und aktualisiert. Durch den erhöhten Platzbedarf für Son- derausstellungen musste die Lateiname- rika-Dauerausstellung bereits vor einigen Jahren abgebaut werden. Wir hoffen, spä- testens im Jahre 2023 unsere wertvollen Bestände in einer neuen Präsentation wie- der der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können. Das Linden-Museum befindet sich, wie viele ethnologische Museen, im Wandel. In einer zunehmend von Diversität ge- zeichneten Gesellschaft müssen wir die gesellschaftliche Rolle und Relevanz ethnologischer Museen neu verhandeln. Im Projekt „LindenLAB“, das im Rahmen der Initiative für Ethnologische Samm- lungen von der Kulturstiftung des Bundes gefördert wird, erarbeiten wir auf expe- rimentelle Weise die Grundlage für eine Neuausrichtung. Das Arbeitsprinzip des Labors aufgreifend, entwickeln und erpro- ben wir in acht LindenLABs neue Formen musealer Wissensproduktion, Vermittlung und Präsentation. Ausgewählte Samm- lungen und Objekte helfen uns dabei, As- pekte gesellschaftlicher Ungleichheit und das Wirken (post-)kolonialer Strukturen im Museum zu thematisieren. Einige der LABs bearbeiten Fragestellungen mithilfe eines regionalen Beispiels, andere legen den Fokus auf die Arbeit hinter den Kulissen. Alle LABs setzen sich mit übergreifenden Themen auseinander: Praktiken ethno- grafischen Sammelns, kolonialzeitliche Strukturen und ihre Nachwirkungen in der Gegenwart, die Verteilung von Deu- tungshoheit immusealen Betrieb, die Rolle ethnologischer Museen heute. Hierzu ver- binden wir partizipative Formate mit For- schung zur Herkunft der Sammlungen, um Verflechtungen offenzulegen, zu themati- sieren und zu reflektieren. ImMuseument- steht so ein innovativer und experimentel- ler Raum, der einen intensiven Austausch mit Vertreter*innen der Herkunftsgesell- schaften, Angehörigen der diversen Stutt- garter Stadtgesellschaft, Wissenschaftler*- innen, Künstler*innen undGestalter*innen ermöglicht. Gemeinsam hinterfragen wir bestehende Strukturen von innen heraus mit dem Ziel, vielstimmige Präsentationen zu erschaffen. Bereits präsentiert wird ein LAB, das in intensiver Zusammenarbeit mit Vertreter*innen indigener Kulturinitia- tiven der Karenni-Region in Myanmar entstanden ist. Reflektiert wird hier die Rolle des Museums als Bewahrer von Ob- jekten für eine indigene Gesellschaft, die in ihrem Staat an den Rand gedrängt wird. Wie können Museen zur Stärkung solcher Gesellschaften beitragen? Welche Bedeu- tung können unsere Sammlungen für das Wiederbeleben kultureller Praktiken haben? Wie kann Know-How geteilt wer- den? Ebenfalls zu sehen ist das LAB „Ob- jekte und Sammler“: Die Installation lädt dazu ein, anhand eines realen Forschungs- auftrages die Arbeitsweise von Prove- nienzforscher*innen spielerisch nachzu- vollziehen. Die Besucher*innen bekom- men dabei Einblick in die verwendeten Arbeitsmethoden und Quellen und kön- nen die dahinterstehende Geschichte selbst entdecken. Für das LindenLAB 2 wurde die Sammlung von Karl Holz (1857 – 1934) in- tensiv betrachtet. Holz war ein Kaufmann, der vermutlich in den frühen 1880er Jahren nach Chile auswanderte, sich fortan Carlos Holz nannte und Karl Graf von Linden mit vielen Objekten, vor allem von den Mapu- che, belieferte. Welche Geschichte verbirgt sich hinter seiner Sammlung? Welche Hin- dernisse, Wendungen und historische Be- gebenheiten sind damit verbunden? Kommende LABs werden sich historischen Sammlungen aus Ozeanien und ihrer Ver- ortung in der Gegenwart, mit Verflechtun- gen von Geschichte, Sammlung und Men- schen zwischen Stuttgart und Afghanistan, mit dem Thema Sprache und Raum im Museum, der partizipativen Aufarbeitung einer kolonialen Sammlung aus Kamerun, der auf lange Frist angelegten Zusammen- arbeit mit dem Museo Mapuche in Cañete (Chile) sowie mit den Zukunftspotenzialen eines ethnologischenMuseums befassen. Vom 26. November 2020 bis 30. Mai 2021 zeigt dasMuseumdie Ausstellung „Schwie- riges Erbe. Linden-MuseumundWürttem- berg im Kolonialismus“. Die Ausstellung wird als Werkstatt-Ausstellung konzipiert und reflektiert die eigene Geschichte, die im Kolonialismus wurzelt, kritisch. Gleich- zeitig leistet die Ausstellung erstmals eine Aufarbeitung der Rolle Württembergs während der Kolonialzeit, über die bislang wenig öffentlich bekannt ist: Welche würt- tembergischen Akteure waren am Koloni- alismus beteiligt? Und wie präsent war der Kolonialismus in der württembergischen Alltagswelt? Darüber hinaus beschäftigt sich die Ausstellung auch mit der Frage ko- lonialer Kontinuitäten: Wie wirken Macht- strukturen fort, wie prägen Stereotype und Rassismen bis heute unsere Denkmuster, unsere Sprache und unsere Bilderwelten? Die Werkstatt-Ausstellung ist als „work in progress“ geplant. Besucher*innen und Schülergruppen können Fragen und eige- ne Gedanken einbringen, die direkt in die Ausstellung einfließen. Ein umfangreiches Programm aus Diskussionen und Work- shops wird die Ausstellung ergänzen. Dr. Doris Kurella Linden-Museum Stuttgart Referat Lateinamerika / Nordamerika Nähere Informationen: www.lindenmuseum.de www.lindenlab.de 43

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