LAV Magazin 2020

Lateinamerika – Wohin? Dr. Reinhold Festge Als ich vor einem Jahr an gleicher Stelle über Lateinamerika schrieb, da war vorsich- tiger Optimismus am Platz, was die wirt- schaftliche Entwicklung in vielen Ländern des Kontinents betraf. Brasilien, die größte Volkswirtschaft, schien die Talsohle durch- schritten zu haben, Mexiko war auf einem guten Weg bei seinen Verhandlungen mit den nördlichen Nachbarn über ein Nachfol- geabkommen zu NAFTA, die Wirtschaft in Kolumbien wuchs und sogar in Venezuela war die Hoffnung auf eine grundsätzliche politische Veränderung noch nicht erlo- schen. Heute, ein Jahr später, stehen wir welt- weit inmitten der größten Wirtschaftskrise der letzten 100 Jahre, mindestens vergleich- bar der Weltwirtschaftskrise von 1929 und weitaus einschneidender und globaler in ih- ren Auswirkungen als die Finanzkrise 2009. Und Lateinamerika ist, das zeigt sich immer deutlicher, eine der am Schlimmsten betrof- fenen Regionen der Welt. Das gilt zunächst in gesundheitlicher Hinsicht, mit den ext- rem hohen Fallzahlen in vielen Ländern des Kontinents, an der Spitze Brasilien, Mexiko und Chile. Das gilt aber auch für die Wirt- schaft, die insbesondere vom Export pflanz- licher und mineralischer Rohstoffe abhängig ist. Der blitzschnelle weltweite Zusammen- bruch der Nachfrage z. B. nach Kupfer, Ei- sen und Erdöl hat die kaufkraftschwachen Volkswirtschaften des Kontinents tief ge- troffen. Durch die Quarantänevorschriften konnten Menschen nicht mehr reisen und landwirtschaftliche Produkte nicht oder nur noch sehr teuer transportiert werden. Die UN-Wirtschaftskommission für Lateiname- rika und die Karibik (CEPAL) erwartet für das laufende Jahr einen BIP-Rückgang von über neun Prozent. Sehe ich die Situation in einigen Ländern, so scheint mir diese Prog- nose fast noch zu optimistisch zu sein. Wie kann dieser Kontinent, dessen An- teil an der Weltwirtschaft schon vor der Co- rona-Krise schrumpfte, wieder Tritt fassen? Nicht ohne die Unterstützung der „entwi- ckelteren“ Länder und deren Wirtschaft. Auf deutsche Unternehmen bezogen, heißt das, dass jetzt ein guter Zeitpunkt für die Inten- sivierung der Zusammenarbeit sein könnte. Das gilt trotz aller Schwierigkeiten, die diese Unternehmen jetzt zu Hause zu überwinden haben. Wir deutschen Unternehmen müs- sen aktiv werden, um unsere Auslandsmärk- te zu sichern. Tun wir das nicht, verlängern wir die Krise. Im Rahmen der Lateinamerika-Initi- ative der Deutschen Wirtschaft versuchen wir, dazu beizutragen. Gemeinsam mit den deutschen Auslandshandelskammern vor Ort haben wir eine Informationsplattform zu Corona in Lateinamerika aufgelegt. In vielen Einzelfällen können unsere Träger- verbände unterstützen, wenn Anfragen von Regierungen aus der Region nach COVID- relevantem Material kommen. Es gibt auch im Gesundheitsbereich eine intensive Zu- sammenarbeit, z. B. der Regierung von Ko- lumbien mit der Charité. All das lässt mich hoffen: dass die Län- der Lateinamerikas und der Karibik bald in der Lage sein werden, das Infektionsgesche- hen zu dämpfen, dass sie möglichst bald ihre Wirtschaft wieder in Gang bringen können und, am wichtigsten, dass die Pandemie vielleicht in einigen Staaten für einen wirt- schafts- und gesellschaftspolitischen Para- digmenwechsel sorgt: Hin zur Transparenz, hin zur Investition in Infrastruktur, in Bil- dung, in Nachhaltigkeit. Dann hätte diese Krise sogar etwas Positives vorangebracht. Der Lateinamerika-Tag, der dieses Jahr online stattfindet, kann auch für diese Ent- wicklung und diesen Wandel eine Plattform sein: Auch wenn es nicht so viele Geschäfte geben kann, wie wir alle gewohnt sind, wün- sche ich Ihnen im Namen der Lateinameri- ka-Initiative, dass diese gut sein mögen! Dr. Reinhold Festge Vorsitzender der Lateinamerika-Initiative der deutschen Wirtschaft (LAI) Träger der LAI: Grußwort des Vorsitzenden der Lateinamerika-Initiative der deutschen Wirtschaft (LAI) 08 Grußworte zum Lateinamerika-Tag 2020

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