LAV Magazin 2021

D er Agrarsektor ist der traditio- nelle Motor der argentinischen Wirtscha . Die Entwicklung und Adaptation neuer Technologien hat in den vergangenen Jahrzehnten zu einer neuen Blüte geführt. Digitale Plattformen sind dabei ein Schlüsselfaktor. Schon in seiner wirtscha lichen Glanzzeit, zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, als Argentinien gemessen am Pro-Kopf- Einkommen noch zu den reichsten Län- dern der Erde zählte, erzielte das Pampa- land seinenWohlstand vornehmlich aus der Landwirtscha . Auch heute ist die Agrarin- dustrie der wichtigste Motor der argentini- schen Wirtscha . Unter Berücksichtigung der vor- und nachgeschalteten Wertschöp- fungsketten sowie von Zulieferern wie Ag- rarchemie, Maschinenbau, Transportwirt- scha , Handel und anderen Dienstleistern, hängt rund ein Drittel aller Arbeitsplätze in Argentinien direkt oder indirekt von der Landwirtscha ab, schätzen Fachleute. Ag- rarprodukte erbringen allein zwei Drittel der gesamten argentinischen Exporterlöse. Gleichzeitig gehört die Agroindustrie in Argentinien zu den Vorreitern der Digitali- sierung. Bereits seit Jahrzehnten ist Argenti- nien bei der Entwicklung und Anwendung neuer Agrartechnologien führend. Das Pampalandwar einPionier bei der Entwick- lung des Präzisionsackerbaus, der Direkt- saat und der Verwendung von gentechnisch modi ziertem Saatgut. Rund 15 Prozent des globalen Anbaus von genveränderten Kulturen entfallen allein auf Argentinien. 90 Prozent des Ackerlands werden ohne Bodenbearbeitung durchDirektsaat bewirt- scha et. Die Entwicklung von dürreresis- tentem Saatgut könnte die Bewirtscha ung von Böden erlauben, die bisher aufgrund von Wasserknappheit ungenutzt blieben. Auch in Zukun dür e Argentinien bei der Anwendung und Entwicklung neuer Agrar- technologien ganz vorne mitmischen. Smart Farming bringt neuen Produktivitätsschub Argentinien kann bereits heute rund 400 Millionen Menschen ernähren, fast das Zehnfache seiner eigenen Bevölkerung. Und das Potenzial für weiteres Wachstum ist groß, vor allem durch weitere Steigerun- gen der Produktivität. Smart Farming wird dabei wie schon in den vergangenen Jahren eine wichtige Rolle spielen. Gemäß einer Erhebung des staatlichen Ag- rartechnologieinstituts, INTA, waren 2019 rund 95 Prozent aller aktiv genutzten Ern- temaschinen in Argentinien mit Ertrags- monitoren ausgerüstet. 38 Prozent der Maschinen waren weniger als fünf Jahre alt und laut INTA komplett mit Fernlenkung und -kontrolle sowie Robotik und Auto- matisierungstechnik ausgerüstet. Die Ins- tallation von Systemen für die Fernübertra- gung von Messdaten hat sich in vier Jahren verzehnfacht. Die tatsächliche Anwendung hinke indes noch hinter der Verbreitung der Hardware her, beobachtet das INTA. Der wichtigste Input für die Agrarunternehmen seien die Daten, die erhoben und gesam- melt würden, kommentieren die Experten. Diesen Schatz gilt es vielfach noch zu heben und zu nutzen. Starke Landtechnik Argentiniens Landtechnik gehört zu den am besten entwickelten Industriezweigen des Landes, unter starker Beteiligung aus- ländischer Konzerne. Die Branche erzielte 2020 einen Gesamtumsatz von 1,43 Mil- liarden US-Dollar. Besonders stark ist das heimische Angebot bei Sämaschinen, Feld- spritzen, Vorsätzen und sonstigen Geräten. Auch bei Erntemaschinen dominieren Ma- schinen aus lokaler Montage den Absatz. Marktführer sind in Argentinien die Unter- nehmen John Deere und CNH vor Massey Ferguson, der lokalen Firma Vassalli und der deutschen Claas. Wichtige Produkti- onscluster sind die Provinzen Buenos Aires, Santa Fé und Córdoba, die zusammen auch drei Viertel der Anbau äche für Getreide und Ölsaaten auf sich vereinigen. Der Staat fördertund bremst zugleich Der Staat ist für Argentiniens Agroindus- trie einwichtiger Förderer, aber zugleich der größte Hemmschuh. Die Wirtscha spoli- tik ist eher kontraproduktiv. Agrarexpor- te sind mit Exportsteuern von bis zu 30 Prozent belegt, zudemmüssen die Farmer zum o ziellen Wechselkurs exportieren, der um fast die Häl e unter dem Kurs am Parallelmarkt liegt. Der Export von Rind- eisch wird durch Quoten begrenzt, um die Fleischpreise auf dem Inlandsmarkt zu drücken. Auf der Nachfrageseite wird die Investitionsbereitscha der Landwir- te derzeit also durch staatliche Eingri e eher gebremst - und damit auch die Ent- wicklung und Anwendung von neuen Technologien. Positiv schlägt lediglich die staatlich subventionierte Kreditvergabe zu Buche. Angebotsseitig wird die Entwicklung von Smart-Farming-Technologiendagegenauf vielfache Weise gefördert. Das 2020 verab- schiedete "Gesetz der Wissensökonomie" (Ley de la economía del conocimiento) setzt die schon seit vielen Jahren gelten- de Förderung der So wareentwicklung fort und weitet sie auf "wissensbasierte Dienstleistungen" im Allgemeinen aus. Die geförderten Aktivitäten kommen un- ter anderem in den Genuss von Steuerer- leichterungen. Das staatliche Institut für Agrartechnolo- gie, INTA, leistet mit seinen zahlreichen Niederlassungen und Forschungsstellen im gesamten Land seit Jahrzehnten einen großen Beitrag zur Entwicklung und Ver- breitung neuer Technologien. Die Exper- ten des INTA waren schon in den 1980er Jahren Vorreiter der Präzisionslandwirt- scha und der Direktsaat-Technologie. Zusammen mit der Zulassung von gen- technisch modi ziertem Saatgut bereite- ten sie den Weg für Argentiniens "grüne Revolution" in den 1990er Jahren, als die damalige Regierung die Exportsteuern im Agrarsektor abscha e und den Einsatz von gentechnisch modi ziertem Saatgut erlaubte. Das INTA entwickelte damals bereits mit GPS-Technologie erste Land- karten der geogra schen Verteilung von Erträgen und scha e damit die Basis für das heute umfassende Ertragsmonitoring. Ein gutes Ökosystem für AgTech-Start-ups Argentiniens AgTech-Ökosystem umfasst laut einer Studie der Austral-Universität rund hundert Start-ups, die meist nicht mehr als fünf Jahre alt sind. 70 Prozent der befragten Unternehmen erzielten im Jahr 2018 einen Umsatz von weniger als 1,5 Millionen US-Dollar. Der nationale Markt ist laut der Studie für sich allein be- trachtet eher klein, doch Argentinien sei ein guter Ausgangspunkt, um die Tauglich- keit von Produkten und Dienstleistungen zu testen und auf dieser Basis im globalen Markt zu expandieren. Eduardo Borri, der Präsident der argen- tinischen Landtechnik-Kammer Cafma, ist überzeugt: „Wenn Argentinien etwas zu verkaufen hat, dann ist es das Wissen um seine Landwirtscha und Agroin- dustrie.” Argentinien müsse ein „Silicon Valley der agroindustriellen Technologie“ entwickeln, sein eigenes „Agro Valley“. Die Pamparegion habe das Potenzial, zu solch einem Knotenpunkt von Unterneh- men, Kammern, Universitäten und Clus- tern zu werden, so Eduardo Borri. Nach Einschätzung der Organisation Endeavour braucht die Branche indes mehr Angelin- vestoren, um neue Projekte zu nanzieren. Satelliten für denAckerbau Mit dem Raumfahrtunternehmen Satello- gic dür e Argentiniens AgTech-Branche demnächst ihr erstes Unicorn, also ein Start-up mit einem Marktwert von mehr als einer Milliarde US-Dollar, hervorbrin- gen. Im Juli 2021 wurde das 2010 gegrün- dete Start-up im Rahmen einer Fusion mit dem Investmentfonds Cantor Fitzgerald Acquisition Corp. mit 850 Millionen US- Dollar bewertet. Satellogic betreibt bislang 17 eigene Satelliten, die Daten für die Opti- mierung der landwirtscha lichen Produk- tion liefern. Bis 2025 sollen 300 Einheiten im Erdumlauf sein. Dazu kooperiert Satel- logic mit dem Unternehmen SpaceX des us-amerikanischen Technologie-Tycoons Elon Musk. Nach eigenen Angaben baut Satellogic die erste skalierbare Erdbeob- achtungsplattform, die in der Lage sein soll, den gesamten Planeten sowohl mit hoher Frequenz als auch mit hoher Au ösung neu zu kartieren. Das komplett vertikal in- tegrierte Unternehmen, das 190 Ingenieure für Satellitentechnik beschä igt, entwir und projektiert seine Satelliten in Argenti- nien. Doch montiert werden sie im Nach- barland Uruguay. Ein Schachzug, der die Investitionen nicht zuletzt vor dem Zugri des argentinischen Staates schützt. Seine Dienstleistungen vertreibt das Unterneh- men weltweit. Digitale Plattformen beackern das Land Plattformen für die digitale Landwirtscha wie FieldView, Auravant, My Data Plant, Sky d und Optiagro sorgen für die Ver- netzung von Maschinen, Satelliten und Kontrollstationen. Deutsche Zulieferer der Agrarwirtscha betreiben in Argentinien eigene Plattformen, wie die Chemieunter- nehmen Bayer und Helm, oder sie arbeiten mit verschiedenen in Argentinien etablier- ten Plattformen zusammen, so etwa der Landtechnikhersteller Class mit FieldView von Bayer und die Agrarchemie rma DVA Agro mit der PlattformAuravant. Deutschland hat die Digitalisierung zu ei- nem Schwerpunkt der Zusammenarbeit mit Argentinien erklärt. Im Juni 2021 er- folgte der Start des „Foro Futuro“, einer Plattform für die Zusammenarbeit zwi- schen Argentinien und Deutschland bei anstehenden Zukun sfragen. Dabei soll es auch um die Digitalisierung der Landwirt- scha gehen, insbesondere umTechnologi- en für eine nachhaltige Agrarproduktion. Höhepunkt des bis 2023 angesetzten Zu- kun sforums ist eine Leistungsschau der deutschenDigitalwirtscha inArgentinien. Umweltaspekte rücken in den Fokus Immer wieder kommt es in Argentinien zu Kon ikten mit Umweltschützern, die vor allem den groß ächigen Einsatz von Glyphosat kritisieren. Sie fordern, Smart Farming solle nicht nur höhere Erträge, Kosteneinsparungen und die Verbesserung der Qualität ermöglichen, sondern auch für Nachhaltigkeit in den Produktionsprozes- sen sorgen. Schätzungen zufolge liegen in Argentinien mehr als 5 Millionen Hektar Anbau äche in der Nähe von Ortscha en oder in anderen sensiblen Gebieten. So- wohl die Zivilgesellscha als auch behörd- liche Vorschri en verlangen in diesen Um- gebungen den Einsatz von sehr präzisen Anwendungstechniken, um die Umweltri- siken zu minimieren. Unternehmen sehen darin ein vielversprechendes Geschä sfeld. Ein wichtiges Forum zur Diskussion dieser emen ist die NGO zur Förderung eines bodenschonenden Anbaus, vornehmlich der Direktsaat, Aapresid. Die Liste ihrer Unterstützer gleicht einem "Who is who" der argentinischen Agroindustrie. Ähnli- ches gilt für die von landwirtscha lichen Unternehmern gebildete gemeinnützige Organisation CREA, deren Mitglieder in verschiedenen Fachgruppen Erfahrungen und Wissen austauschen. Im Jahr 2017 schloss sich eine Gruppe von Agrarprodu- zenten und Technologieunternehmern zu- sammen, um gezielt die Entwicklung von AgTech-Unternehmen in Argentinien zu stimulieren. So entstand Nesters, der erste AgTech-Enhancer des Landes. Das 2018 formierte Nesters Empowerment Network - CREA bringt agroindustrielle Unterneh- menmit anderen Akteuren aus der Finanz- industrie, Logistik und Marketing zusam- men, um ein dynamisches Ökosystem zu scha en. Argentiniens Landwirte sind längst eher Technologie-Nerds als Lasso schwingende Gauchos. 45 Prozent der Farmer sind jün- ger als 45 Jahre, 48 Prozent haben einen Universitätsabschluss; bei Großproduzen- ten steigt diese Quote gar auf 88 Prozent. Vier von fünf Produzenten lassen sich von Agraringenieuren und anderen Experten beraten. Das Potenzial Argentiniens als Lebensmittellieferant liege nicht allein in seinem weiten Territorium, seinen frucht- baren Böden und seinen stark diversi zier- ten Klimazonen, sondern vor allem in der Wissensökonomie und dem Humankapi- tal, das sich in den letzten Jahren entwickelt hat, so lautete eine der Hauptbotschaf- ten beim jüngsten Kongress der Nesters- CREA-Community im April 2021. Dies reiche weit über die Landesgrenzen hinaus. Längst sind viele argentinische Agrarunter- nehmer in Nachbarländern wie Brasilien, Paraguay und Uruguay aktiv. Carl Moses GTAI Buenos Aires Weitere Informationen: Smart Farming in Argentinien sowie 20 weitere Märkte finden Sie im GTAI-Special zu Smart Farming www.gtai.de/smart-farming Von Gauchos zu Nerds Die Digitalisierung der Landwirtschaft in Argentinien schreitet rasch voran 24 25 Germany Trade and Invest – GTAI

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