LAV Magazin 2021

Thailand, Pakistan, Marokko, Frank- reich und vielen anderen Ländern. Faszinierend! Und wie entwickelte sich daraus die Idee, sich damit bei ArtLink zu präsentieren? Roberto Uribe und ich lernten uns 2018 kennen, ein Jahr später hatte ich das Glück, mit ihm an der Kuratierung einer Ausstellung zu arbeiten. Seit- dem verfolge ich aufmerksam seine Arbeitsweise, sein Werk und sei- ne künstlerischen Ansätze. Ich habe mehr und mehr den Eindruck, dass er zu den Perlen gehört, die noch nicht entdeckt worden sind. Sein Potenzial ist immens! Im Jahr 2020 sprach ich mit einer Kollegin, die in Fort Dun- C laudia Zea-Schmidt ist Direk- torin von B26 Arts & Cultural Projects in Berlin. Im Inter- view mit Christoph Schmitt spricht sie über die neu gegründete Plattform, auf der Sie über dieHerausforderungen be- richtet, welche die Verbreitung latein- amerikanischer Kunst in Deutschland mit sich bringen sowie über das Kunst- projekt Quarantine Diaries. Frau Zea-Schmidt, Quarantine Dia- ries – Fotos von Seifen aus der gan- zen Welt? Welche Gedanken haben Roberto Uribe Castro bewogen, Men- schen aufzufordern, ihm Fotos ihrer Seife zu senden? Was steckt hinter dieser Idee? Ich beginne mit Ihrer letzten Frage. Die Idee des Künstlers wurde durch ein unglückliches Ereignis geboren; den Tod seines Vaters im Jahr 2008. Roberto war damals nicht in Kolum- bien, seinem Herkunftsland. Diese Situation brachte ihn zum Nachden- ken über seine Abwesenheit und das Verstreichen der Zeit. So kam er auf die Idee, den Lauf der Zeit durch ei- nen Gegenstand zu dokumentieren, einen Alltagsgegenstand, den sowohl er als auch seine Mutter aufbewah- ren konnten, bis sie sich wiedersehen. Der Künstler und seine Mutter kamen überein, die Reste, der von ihnen ver- wendeten Seifenstücke aufzubewah- ren, um sie beim nächsten Treffen zu teilen. Wie Roberto selbst sagt: "auf die Materialität des Seifenstücks zurück- greifen, um den Lauf der Zeit festzu- halten". Ich würde hinzufügen: um die Spur der Zeit zu spüren. Aber die Geschichte geht weiter. Im Jahr 2020 kehrte Roberto nach Kolum- bien zurück, wo er einen Kurs im Na- tionalmuseum von Kolumbien geben sollte. Dort wurde er, wie alle anderen auch, von der Pandemie überrascht und saß mehrere Monate lang im Haus seiner Mutter fest. Daraufhin frag- te er sie nach den Seifenstücken. Im Haus seiner Mutter, mit den von den Handabdrücken und dem Körper sei- ner Mutter geformten Seifen, den Er- innerungen, die das Haus seiner Mut- ter weckte, und der Konfrontation mit der Realität, kam er auf die Idee, die Seifen zu fotografieren und auf seinem Instagram-Account zu posten. Die Fotoserie blieb von Robertos Ins- tagram-Followern nicht unbemerkt. Er hatte vier Fotos gepostet, als die Leute anfingen, ihm Bilder von ihren Sei- fenstücken aus verschiedenen Teilen der Welt zu schicken. Er erhielt Fotos aus den Vereinigten Staaten, Brasilien, ree in Nordirland arbeitete. Sie hatte vor, einen Künstler aus Kolumbien in die dortige Galerie ArtLink einzu- laden, aber wegen der Pandemie war das nicht möglich. Ich erzählte ihr von Robertos Arbeit und sie war beein- druckt. Ich schlug vor, sein Portfolio in der Galerie vorzustellen und zu sehen, was passiert. Das Ergebnis hätte nicht besser sein können. ArtLink und B26 Arts & Cultural Projects vereinbarten eine Kooperation. Quarantine Diaries wurde nicht nur auf dem Instagram- Account der Galerie mit Seifen-Fotos von Menschen aus aller Welt fortge- setzt, sondern das kollektive Work in Progress wurde auch vor Ort, analog gezeigt. Zudem fand eine virtuelle Konferenz statt. Das Kompendium da- von ist in einem Booklet zusammenge- fasst, das wir an verschiedene Kunstin- stitutionen sowohl in Fort Dunree als auch in Deutschland, hauptsächlich in Berlin, geliefert haben. Gut, machen wir mit der Kunst wei- ter, aber ändern wir den Protagonis- ten. Ich sehe, dass Ihre B26-Plattform jetzt fast ausschließlich der Kunst ge- widmet ist. Obwohl ich sagen muss, dass Sie als Herausgeberin des ge- druckten Magazins B26 alle Titelsei- ten an international bekannte Künst- ler vergeben haben und auch eine Rubrik ausschließlich für die Kunst konzipiert haben, habe ich das richtig beobachtet? Ja, das ist richtig. Wir hatten Francis Alys und Mona Hatoum auf unseren Titelseiten und Luis Camitzer und Nicola Constantino auf den Innen- seiten, um nur einige zu nennen. Ich muss zugeben, dass ich schon damals davon träumte, mich ausschließlich der Kunst zu widmen. Da ich eine Vor- liebe für Kunst und ein Interesse an diesem Thema hatte, habe ich das auch erst einmal studiert. Ich habe Kunst- vermittlung und Kuratieren an der Universität der Künste in Berlin und Art as a global Business am Sotheby´s Institute of Art studiert. Gleichzeitig begann ich, Feldforschung zu betrei- ben, wie ich es nenne, um die Präsenz und Resonanz lateinamerikanischer Kunst in Europa und insbesondere in Deutschland zu untersuchen. Ich habe internationale Kunstmessen, Museen, Galerien und Künstlerateliers in Eu- ropa und Lateinamerika besucht. Das Ergebnis ist bittersüß, aber die gute Nachricht ist, dass ich eine neue Her- ausforderung habe und nicht allein bin. Das klingt sehr überzeugend. Sagen Sie uns genau, was Sie mit dieser Her- ausforderung meinen und wer sie mit Ihnen gemeinsam angeht. Die Herausforderung besteht darin, zeitgenössische Kunst aus Latein- amerika auf die deutsche Kunstland- schaftskarte zu bringen und Moden zu überwinden. Diese germanische Karte ist unvollständig. Museen, Instituti- onen, Galerien und Kunstmessen in Deutschland können sich nicht rüh- men, internationale zeitgenössische Kunst zu zeigen und zu sammeln, ohne den amerikanischen Subkonti- nent zu erwähnen. Diese Aufgabe ist kostspielig, aber ich werde Ihnen zwei Beispiele nennen, um zu beschreiben, wie es bisher funktioniert hat. Ich be- ginne mit Nordeuropa und fahre mit Deutschland fort. Dank des Hassel- blad-Preises, den die gleichnamige Stiftung 2018 an den kolumbianischen Künstler und Fotografen Óscar Muñoz vergab, stellte die Berliner Galerie Carlier Gebauer ein Jahr später seine Arbeiten in der Galerie aus. Obwohl die Show großartig war, war die Ver- breitung nicht so wunderbar. 2018 begann auch ein kleiner Boom der modernen und zeitgenössischen la- teinamerikanischen Kunst in Deutsch- land. Ich nenne nur einige der Orte, die das „Risiko“ eingegangen sind, la- teinamerikanische Kunst zu zeigen: die Villa Stuck in München, das Museum für Moderne Kunst MMK in Frank- furt oder der Hamburger Bahnhof und die Kunst-Werke (KW) in Berlin. Die KW zeigten die erste Retrospektive der Künstlerin Beatriz González. Nach dieser Ausstellung nahm der Kunst- verein Hamburg González Anfang 2021 in eine Gruppenausstellung auf. Ich schließe mit einem weiteren Bei- spiel. 2019 stellte die Kunsthalle St. Annen in Lübeck Doris Salcedo aus und erwies ihr eine Hommage, von der der Rest Deutschlands nichts wusste. Da gibt es noch viel zu tun. Doch wenn die Präsentation dieser international renommierten Künstler, deren Werke Teil der Sammlungen des Moma in New York oder der Tate Modern in London sind, nicht wahr- genommen werden, was widerfährt dann den Jüngeren, die teilweise in Deutschland leben, den Claudia Zea-Schmidt ist Autorin, Kunstmanagerin und Kommunikationswissenschaftlerin Cover Quarantine Diaries Darrel Lynn Alvarez, San Francisco Ci Puloh, Subgang Kristen Gianaris, Rabat Ingrid Raymond, Bogotá Die Seife in Zeiten der Pandemie 48 49 B26 Arts & Cultural Projects

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